Heinz Liebscher
Das „Wörterbuch der Kybernetik“ – Beispiel einer Wirkung von Philosophie in der DDR
Resümee:
Wer sich heute über die Philosophie in der DDR informieren will, stößt auf eine Reihe von Schriften, die dazu dienen, diese Philosophie und deren Vertreter zu verunglimpften. Als Georg Klaus daranging, in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts die sich in statu nascendi befindende neue Wissenschaft Kybernetik zu analysieren und dabei versuchte, ihre Theorieansätze und Methoden für die wirtschaftliche Entwicklung der jungen DDR nutzbar zu machen, hatte er durch sein Engagement für die moderne Logik bereits Ansehen als Streiter für die Wissenschaftsentwicklung und für neue Bereiche des wissenschaftlichen Fortschritts erlangt.
Sein Einsatz für die Kybernetik führten Georg Klaus und seine Mitarbeiter zu einem unmittelbaren Zusammenwirken mit einer Reihe anderer Fachwissenschaftler. Das gemeinsame Wirken für die Anerkennung und Durchsetzung der kybernetischen Ideen in der DDR erwies sich für uns Philosophen als prägend für unsere ganze weitere wissenschaftliche Arbeit in der Philosophie, insbesondere auf methodologischen und wissenschaftstheoretischen Gebieten.
Ein Wörterbuch erschien generell als ein wirksames Mittel, um breite Wirkung zu erzielen, die neuen Ideen bekannt zu machen und schon sichtbar gewordene Vorbehalte abzubauen. Seine philosophiehistorischen Studien hatten Georg Klaus auch gezeigt, dass Wörterbücher beitragen können, fortgeschrittenen Denkweisen einer Zeit oder eines neuen Gebiets des Denkens Anerkennung zu verschaffen.
In unserem Falle entstanden jedoch mit dem Anwachsen der internationalen Literatur zu Themen der Kybernetik bzw. zu solchen, die man diesem Gebiet zurechnen kann, zusätzliche neue Probleme bezüglich der Auswahl aufzunehmender Wörterbuchartikel. Dabei hielten wir stets an der auf Georg Klaus zurückgehenden Vorstellung fest, dass alle kybernetischen Phänomene in irgendeiner Weise an einen Begriff des kybernetischen Systems gebunden sind und dass jede neue Gestaltung der Struktur des Wörterbuches dieser Vorstellung Rechnung tragen müsse.
Zu konstatieren ist, dass DDR-Philosophen und Fachwissenschaftler unterschiedlicher Gebiete schon früh theoretische Vorstellungen entwickelten, die auf gründliche Forschungen und den rückhaltlosen Einsatz wissenschaftlicher Methoden zur Lenkung ökonomischer Entwicklungsprozesse orientierten.
Unserem Wörterbuch der Kybernetik sollte ein in seinem Ausmaß nicht erwarteter Erfolg beschieden sein. Es erlebte nicht nur vier Auflagen in der DDR, sondern als zweibändiges Fischer Taschenbuch seit seiner zweiten DDR-Ausgabe auch jeweils ungekürzte Ausgaben mit hohen Auflageziffern in der alten Bundesrepublik. Für seine Ausgabe unseres Titels warb der Fischer-Verlag mit der Zeile: „Zweibändige Taschenbuchausgabe des maßgebenden ‚Wörterbuch der Kybernetik’“.
Es gehörte zu den Widersprüchlichkeiten der DDR-Politik, dass entgegen allen Befürchtungen auch nach dem Tode von Georg Klaus die angelaufenen Arbeiten für die vierte Auflage fortgesetzt werden konnten.
Der Beitrag schließt mit dem Ausruf: Die Wirkung einer Philosophie hängt auch von ihrer Interpretation ab!